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Modellorganismus Drosophila

Sie misst nur rund 3 Millimeter, und doch ist die Fruchtfliege Drosophila melanogaster seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts aus der Genetik nicht wegzudenken. Neben der Maus, dem Zebrafisch, dem Haushuhn und dem Krallenfrosch ist sie ein bedeutender tierischer Modellorganismus.

An der Vetmeduni Wien ist die Drosophila der heimliche Star – kultiviert in Memmert Kühlbrutschränken ICP.

Darwins Evolutionstheorie auf der Spur

Auch vor dem Hintergrund der Diskussion um den Klimawandel ist die Erforschung der Überlebensmechanismen, mithilfe derer sich eine Population, eine Gruppe von Lebewesen, die sich untereinander fortpflanzen, an spezifische Umgebungsbedingungen anpasst, aktueller denn je. In den 1920er Jahren entstanden, liefert die Populationsgenetik tagtäglich neue Forschungsergebnisse für die Verfeinerung von Vererbungslehre und Evolutionstheorie.

Evolution im Zeitraffer

Warum also unterscheiden sich Mitglieder einer Population? Warum sind manche Populationen anpassungsfähiger als andere, welche gemeinsame genetische Basis haben Populationen und inwieweit hat die Anpassung an die Umwelt sich im Erbgut niedergeschlagen? Fragestellungen für neue Versuchsreihen mit der Drosophila gibt es am Institut für Populationsgenetik (IMP) der Vetmeduni Wien genug. Und warum ausgerechnet die Fruchtfliege als Modellorganismus? Nun, sie ist günstig zu halten, hat sehr kurze Generationszyklen, ermöglicht quasi die Evolution im Zeitraffer zu betrachten und sorgt für reichlich Nachkommenschaft. Darüber hinaus besitzt sie nur vier Chromosomenpaare, das Genom ist also mit rund 14.000 Genen relativ überschaubar. Die Forscher können durch gezielte Manipulation einzelner Gene ihre Thesen exakt untermauern, egal ob nun Stoffwechselprozesse, Paarungsverhalten, Alterung, Adipositas oder Reaktionen auf Krankheitserreger und klimatische Veränderungen untersucht werden.

Die weltgrößte „Fliegen-Bibliothek“

Die Sequenzierung, also das Auslesen der DNA-Grundbausteine eines Genoms, ist auch heute noch aufwändig und kostspielig. Will man Funktion und Zusammenwirken von Genen oder Gründe für genetische Veränderungen untersuchen, muss eine Sequenzierung jedes Mal vor und nach dem Experiment vorgenommen werden. An der Vetmeduni Vienna nutzt man daher das Hochdurchsatzverfahren Next Generation Sequencing, das es ermöglicht, DNA kostengünstig und schnell zu sequenzieren. Ebenfalls unverzichtbar für die Forscher am Institut für Populationsgenetik ist die mit mehr als 22.000 Fliegenstämmen weltgrößte „Fliegen-Bibliothek“, die vom IMP und dem Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie ins Leben gerufen wurde. In jedem dieser Fliegenstämme kann genau ein einziges Gen abgeschaltet werden, was es den Forschern ermöglicht, exakt die Funktion dieses Gens zu untersuchen.

Verschiedene Temperaturbedingungen im Kühlbrutschrank

In den 21 Memmert Kühlbrutschränken ICP an der Vetmeduni Wien wird vor allem untersucht, inwieweit veränderte klimatische Bedingungen die Frequenz bereits vorhandener Genmutationen beinflussen. So werden in einer Versuchsreihe Tiergruppen mit unterschiedlichen Genversionen über viele Fliegengenerationen bei Tag und Nacht abwechselnd ungewohnt hohen und niedrigen Temperaturbedingungen ausgesetzt. Da die Fliegen auf möglichst vielen Ebenen in Futterbehältern gehalten werden, ist die Lichtleiste an der Rückwand montiert, damit das Licht im Innenraum möglichst gleichmäßig verteilt wird.

Manche Drosophila-Populationen sind mittlerweile bereits über 100 Generationen evolviert. Die Sequenzierung der Genome jeder einzelnen Fliegengeneration gibt im Vergleich mit nicht evolvierten Populationen Aufschlüsse darüber, auf welchen Genabschnitten Veränderungen auftreten, welche Genvariante sich unter welchen Temperaturbedingungen durchsetzt, welche Merkmale an die nächste Generation weitergegeben werden und wie die Tiere sich äußerlich verändern. Erkenntnisse, die auch für den Menschen interessant sind, teilen wir doch immerhin 70 % unseres Genpools mit der Drosophila.

Das mehrjährige Projekt wird vom European Research Council mit dem begehrten ERC Advanced Grant sowie vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF finanziert.

 

Der Text dieses Artikels basiert im Wesentlichen auf Erläuterungen sowie Veröffentlichungen des
Instituts für Populationsgenetik an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. AtmoSAFE bedankt sich beim Leiter des Instituts, Herrn Univ.-Prof. Dr.rer.nat. Christian Schlötterer, für die freundliche Unterstützung.